Wildpferde in Aschaffenburg

Wenn ihr Bahnfahrer seid oder in der Nähe einer der fast 1000 Baustellen der Deutschen Bahn wohnt, habt ihr wahrscheinlich nicht gerade das Beste für diese meist groß angelegten Projekte übrig. Wir durften diese Woche nochmal eine ganz andere Sicht auf die sonst so störenden Bauprojekte erleben, die uns heute Baustellen der Bahn in einem anderen Licht sehen lässt.

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Wir wurden von der Deutschen Bahn zu einer Presseexkursion in die Nähe von Aschaffenburg eingeladen, um als einer der ersten eine frisch eingezogene Wildpferde-Herde in ihrem Wildgehege zu besichtigen. Warum sich die Bahn Wildpferde zulegt, war auch uns erst klar, als wir die Hintergründe erklärt bekamen: Überall wo der Natur durch große Bauprojekte Raum genommen wird und damit auch Lebensraum von Flora und Fauna, muss ein Ausgleich geschaffen werden. Dazu ist auch die Bahn für ihre zehntausende Kilometer Gleise verpflichtet. Im konkreten Fall geht es um die Neubaustrecke zwischen Hanau und dem bayrischen Nantenbach im Spessart, für die unter anderem vier neue Tunnel gebaut werden. Dabei wird natürlich sehr stark in die Natur eingegriffen. Die vorhandene alte Strecke soll zwar nach der Eröffnung der neuen renaturiert werden, allerdings ist dies noch nicht ausreichend, um den Eingriff komplett zu kompensieren.

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Hier kommen die Wildpferde ins Spiel. Da die Deutsche Bahn schon 2009 gute Erfahrungen mit Wildpferden in der Nähe von Hanau gemacht hat und sich ein nur 7 km von der Baustelle entferntes ehemaliges Truppenübungsgelände anbot, wurde entschlossen, als Ausgleichsmaßnahme einer Herde von später bis zu 12 Przewalski-Pferden einen neuen Lebensraum zu schaffen, der den Bedingungen in der ursprünglichen Wildnis sehr nahe kommt. Das ehemalige Militärgelände ist seit 2009 Naturschutzgebiet und besteht aus einer 75ha großen mageren Wiesenfläche.

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Doch was sind Przewalzki- Pferde eigentlich?

Diese Pferderasse ist die letzte heute noch lebende Unterart der ursprünglichen Wildpferde. Sie unterscheiden sich nicht nur optisch von unseren Hauspferden, sondern sind auch genetisch deutlich abzugrenzen. Zum Beispiel verfügen sie über zwei zusätzliche Chromosomen und haben einen weiteren Brustwirbel im Skelett. Die Pferde werden durchschnittlich zwischen 1,20m bis 1,45m groß, sind creme bis braunfarben und weisen die typischen Wildpferdemerkmale wie Aalstrich, Zebrastreifen an den Beinen und ein Schulterkreuz auf. Eine große Besonderheit sind Mähne und Schweif. Zum einen haben Przewalski-Pferde so gut wie keinen Stirnschopf und die Mähne wird im Fellwechsel Großteils mit gewechselt, wodurch sie nie wirklich lang wird und daher meist als Stehmähne vorzufinden ist. Der Schweif hat nur am unteren Ende lange dicke Schweifhaare, die oberen Haare werden ebenfalls im Fellwechsel mit getauscht und sind daher meist nur einige Zentimeter lang. Ihr natürlicher Lebensraum sind karge, weitläufige Böden mit verschiedenen Gräsern und Kräutern, sowie Äste und das Laub kleiner Büsche.

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Wieso hat die Bahn Wildpferde?

Die Przewalski-Pferde waren vor einigen Jahrzenten so gut wie ausgestorben. Nur durch den Einsatz von Liebhabern, sowie Zoos und Tierparks, konnte die Art erhalten werden. Mittlerweile gibt es wieder gut 2000 dieser Pferde auf der Welt, aber die Art muss weiter geschützt und gezielt erhalten werden. Daher hat sich eine Kooperation in diesem Fall angeboten. Das Gebiet, welches die Bahn als Ausgleichsmaßnahme zur Verfügung hatte, eignet sich super für ein Sandmagerrasenbiotop. Ein sehr hochwertiges Biotop für die Natur und die Bahn. Es kommt den natürlichen Lebensbedingungen der Wildpferde  sehr nah und bietet damit die perfekte Grundlage für eine neue Herde. Die Pferde sind in diesem Gebiet aber eigentlich „nur“ die Landschaftspfleger. Sie sorgen dafür, dass im Biotop nicht zu viele Bäume und  Büsche wachsen, da sie diese frühzeitig fressen. Darin sind sie beispielsweise besser als Schafe, welche sonst auch gerne als Landschaftspfleger eingesetzt werden.

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Mit ihren harten Hufen nehmen sie Einfluss auf den Boden, lockern ihn auf. Durch Scharren und Wälzen zum Beispiel, werden Löcher im Bewuchs geschaffen, welche von den lichtliebenden Pflanzen dankbar angenommen werden.  Durch ihre natürlichen Verhaltensweisen pflegen sie das Biotop also so gut, wie es kaum ein Gärtner bei dieser Größe könnte. Zudem erhalten sie einen super geeigneten Lebensraum. Das Gebiet kann somit fast sich selbst überlassen werden und erfordert einerseits wenig Arbeit vom Menschen, unterliegt damit andererseits aber auch wenig negativem Eingriff des Menschen und kann sich so entwickeln.

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Wie geht das Projekt weiter?

Zurzeit leben nun sechs Jungstuten in diesem Areal. Bis zum Ende des Jahres werden noch drei weitere dazu kommen. Die Stuten stammen aus verschiedenen Zoos und Tierparks, um eine möglichst hohe genetische Vielfalt zu haben. Wenn sie alt genug sind, wird ein Hengst zur Herde kommen und so für die Arterhaltung sorgen. Die Jungtiere wiederum werden zum Teil in der Herde verbleiben und zum Teil in andere Projekte umziehen, damit keine Inzucht entsteht und die Population weiter vergrößert werden kann. Es gibt auch schon erste Projekte, bei denen Przewalski-Pferde in Steppengebieten von Ungarn wieder komplett ausgewildert werden.

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Wie verhalten sich die Tiere nach ihrer Ankunft?

Fünf der Stuten haben sich ganz unspektakulär zusammen gefunden und scheinen eine recht harmonische Gruppe zu bilden. Sie durchstreifen als Herde durch das riesige Gebiet und schauen sich alles an. Die Tiere haben theoretisch einen großen Holzunterstand  und es gibt die Möglichkeit sie in einem kleinen Bereich einzusperren, sowie einzelne Tiere heraus zu sortieren. So können sie medizinisch versorgt werden. Die Pferde werden täglich beobachtet und somit geprüft, ob es ihnen gut geht. Ein Schmied wird nicht nötig sein, die Hufqualität ist auf den natürlichen Abrieb ausgelegt. Allerdings wird auch Wert darauf gelegt, die Tiere möglichst naturnah leben zu lassen. So sind sie beispielsweise nicht halfterführig und größere Untersuchungen benötigen eine Sedierung. Ihr Futter suchen sie sich im weitläufigen Gebiet selbst. Auf dem Gelände wurden ebenfalls ein großer Teich und mehrere kleine Wasserlöcher angelegt. Daraus können die Tiere trinken.

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Die sechste Stute hat sich von den anderen abgesondert und recht nah am Zaun und der Stelle wo sie aus dem Hänger kam aufgehalten. Sie war zwar etwas aufgeregt und wieherte viel, suchte aber in der Zeit in der wir vor Ort waren keinen Anschluss zur Herde. Bestimmt finden sie aber in den nächsten Tagen alle zusammen.

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Weitere Infos

In diesem Naturschutzgebiet ist ein komplettes Biotop entstanden, zu dem neben den Wildpferden auch zahlreiche Wildbienenarten und Amphibien, sowie natürlich Pflanzen gehören. Es gibt eine unglaubliche Vielfalt an Kräutern und Blumen, wovon wiederum auch die Tiere profitieren. Das Gebiet ist komplett eingezäunt, kann aber zum Großteil umlaufen werden. Zudem gibt es einen Aussichtshügel, der auch für Besucher zugänglich ist. Solltet ihr also mal in der Nähe sein, lohnt sich ein kleiner Besuch dort, um die Pferde zu beobachten und das tolle Biotop zu bestaunen.

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Während ich den Pferden so zuschaute bei ihrer Erkundungstour durch das große Gebiet kamen mir vor allem zwei Gedanken in den Sinn:

– Ich will meinen Ponys auch so einen tollen Lebensraum bieten. Ihr Traumberuf wäre sicherlich auch „Landschaftspfleger“ Wie toll wäre das denn?
– Die Przewalski-Pferde sehen aus wie eine gelungene Mischung aus Merlin und Trylle! Findet ihr nicht auch?

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Bei der Pferdeflüsterei findest du ein spannendes Interview mit einer Wildpferde-Expertin!

5 Gedanken zu “Wildpferde in Aschaffenburg

  1. […] den Nordfalben gibt’s schöne Fotos und einige Infos zu einem Wildpferdeprojekt im bayrischen […]

  2. […] ganz spannenden Artikel zu Wildpferden in Deutschland findest du bei […]

  3. […] Hier gibt es übrigens einen Artikel über deutsche Wildpferde, die wieder ausgewildert wurden – ein spannendes Projekt über das Nordfalben berichtet hat […]

  4. Hi Lina,

    ach wie toll! Ein schöner Bericht. In Brandeburg und sogar Berlin gibt es auch einige Flächen, auf denen Pferde als Landschaftspfleger eingesetzt werden, jedoch keine Przewalzki- Pferde. Man hatte sogar überlegt, welche auf dem Tempelhofer Feld (ehemaliges Flughafengelände in Berlin) auszusetzen 😀
    Ich finde es schön zu hören, dass sich die Bahn für solche Projekte engagiert (engagieren muss 😉

    Liebe Grüße, Saskia

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