Merlins Weg zu mir

Um Merlin und meine Geschichte erzählen zu können, muss ich ein wenig weiter ausholen, denn der Anfang liegt schon über zehn Jahre zurück.

Früher sind meine Eltern gerne mit meinem Bruder und mir an die Westküste Dänemarks gefahren. Wir haben dort Urlaub in einem Ferienhaus gemacht und ich durfte reiten gehen. Viele Ferienställe eröffnen in den Touristengebieten und schließen meist nach ein oder zwei Saisons wieder. Daher musste ich anfangs fast jeden Sommer nach einem neuen Stall für Ausritte durch die Dünen suchen.

2001, ich war damals 11 Jahre alt, war ich wieder auf der Suche nach einer Möglichkeit im Urlaub zu reiten und wurde im Nachbarort fündig. Ein total netter Stall, der seine Pferde tagsüber im Offenstall und nachts auf großen Koppeln hielt. Es wurden die verschiedensten Ausritte und Ponyreiten angeboten und ich fühlte mich direkt wohl dort. Der Stall hatte vor allem Ponys der verschiedensten Rassen, viele Isländer und nur ein paar wenige Großpferde. In dem Jahr ritt ich dort einige Ausritte mit und lernte dabei die verschiedenen Pferde kennen.

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Merlin wenige Tage nach seiner Ankunft im Ferienbetrieb

2002 verbrachte ich meine Sommerferien wieder mit meiner Familie in Dänemark und es zog mich natürlich wieder zu den Pferden. Ich wurde gefragt, ob ich nicht nach meinem Ausritt beim Ponyreiten helfen wolle und war natürlich direkt Feuer und Flamme. Im darauf folgenden Jahr half ich die drei Wochen, die ich in Dänemark verbrachte, fast jeden Tag begeistert mit. Zusammen mit den anderen Mädchen hatten wir viel Spaß beim Ponyführen, Misten, Putzen, Sattelpflegen usw.

Im Herbst 2003 waren wir wieder dort, diesmal allerdings nur für zwei Wochen und ich freute mich auf den Stall und die Ponys. Obwohl Herbst war, war reichlich zu tun und ich wurde bereits als Helferlein erwartet. Schon als ich den ersten Tag im Stall war, fielen mir die beiden neuen Ponys auf. Ein dunkelbrauner Isländer namens Kasper und ein kleiner schmaler Norweger, Merlin. Sie waren erst seit wenigen Tagen auf dem Hof und sollten die anderen Ponys in den nächsten Jahren unterstützen.

Der Hof hatte ein wirklich nettes Konzept für die Pferde. Neben der vorbildlichen Haltung lief auch kein Pferd zu oft oder zu unregelmäßig, darauf wurde immer viel Wert gelegt. Die Pferde verbrachten dort einige Jahre, sofern sie sich nicht als ungeeignet für ihren Job herausstellten und wurden dann im mittleren Alter an eine liebe Person verkauft, um wieder eine feste Bezugsperson haben zu können.

In diesen Herbstferien lernte ich Merlin also kennen. Er war gerade sieben Jahre alt und stammte von einer Familie, die ihn als Dressurpony für die Tochter gekauft hatten. Diese wollte aber lieber ein „richtiges“ Pferd, kein schnödes Pony, deswegen musste er dort bereits nach kurzer Zeit wieder weg und kam so in den Ferienbetrieb. Was davor in seinem Leben war ist leider unbekannt, er hatte keine Papiere, nicht mal einen Impfausweis, als er ankam.

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Merlin 2003 in Dänemark

Der Ferienbetrieb versuchte immer, die Pferde möglichst an allen Positionen einer Abteilung im Gelände zu reiten. Dabei stellte sich recht schnell heraus, dass Merlin als Führpferd sehr flott unterwegs war. So wurde er vom Ausrittführer fortan mit Pelham geritten, während er im hinteren Teil der Abteilung mit den Feriengästen mit normaler Wassertrense unterwegs war. Ich bin ihn in diesen Ferien ein paar Mal auf Ausritten geritten und war sofort begeistert von ihm. Ein wenig schreckhaft war er damals und er koppte leider recht viel, aber er war der einzige Norweger auf dem Hof und ich mochte ihn direkt.

2004 verbrachte ich wieder drei Wochen in Dänemark und half beim Ferienbetrieb mit. Wann immer es ging, kümmerte ich mich um Merlin und ritt bis auf wenige Ausnahmen nur noch ihn. Es war allen klar, dass er zu meinem Liebling geworden war und ich verkündete mehrfach, dass ich ihn kaufen wollen würde, wenn er mal abzugeben wäre. Schließlich war das der Plan für die Ferienpferde und es würde zeitlich ungefähr passen, dass ich bis dahin volljährig wäre, mein Abi fertig hätte und Merlin im besten Alter von ca. 13/14 Jahren wäre. Es klang nach dem perfekten Plan und man versicherte mir, es nicht zu vergessen.

Immer mal wieder im Jahr bekamen wir Helferlein eine Mail oder Postkarte von den Hofbetreibern mit lustigen Anekdoten, Neuvorstellungen von Ponys und Grüßen. Im Winter 2004 erreichte mich dann eine Mail der Betreiber, allerdings an mich alleine diesmal.

Leider würde es insgesamt nicht mehr so gut laufen, die Ponys sind ein paar Mal durchgegangen aus unerklärlichen Gründen und sie werden nun erstmal nur noch Ponyreiten und Ausritte für erfahrene Reiter anbieten. Leider müssten deswegen auch ein paar Ponys ausziehen, vor allem die Hauptstörenfriede, einfach aus Sicherheitsgründen für alle Beteiligten. Deswegen könnte ich Merlin nun kaufen, sofern ich noch wollte.

Was für eine Frage! Und wie ich wollte. Blöd nur, dass es ungefähr fünf Jahre zu früh war und meine Eltern, die überhaupt nichts mit Pferden zu tun haben, eher schockiert als begeistert auf diese Neuigkeiten reagierten. Ich flehte sie an, es war doch der Merlin, sie kannten ihn schließlich aus dem Urlaub!

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Unser erstes gemeinsames Foto 2004

Ein Pferd kostet unglaublich viel und ist auch ein immenses Risiko in fast allen Belangen, verständlich, dass die eigenen Eltern nicht vor Freude in die Luft sprangen. Dazu noch eines, was aussortiert wird, weil es für einen Ferienbetrieb zu gefährlich wurde. Merlin hatte in seiner Zeit als Ferienpony viele Tricks gelernt und sich nicht gerade beliebt damit gemacht. Er ging durch, er trat nach anderen Pferden und vor allem auch nach Menschen, die ein flotteres Tempo beim Ponyführen von ihm verlangten. Außerdem ging er manchmal nicht wirklich vom Hof runter und koppte zudem nach wie vor wann immer es ging. Kein sehr begehrtes Pferd und ich malte mir aus, was wohl aus ihm werden würde, wenn meine Eltern ihn wirklich nicht kaufen würden. Die Hofbetreiber hatten oft gesagt, dass es bei einigen Pferden besser ist, sie zu erlösen, anstatt sie weiter zu verkaufen, da ihnen oft eine Odyssee durch verschiedenste Hände bevorstehen würde, wenn sie gravierende Probleme mitbrachten. Was wirklich gekommen wäre weiß ich nicht, er hätte sicherlich auch irgendwo anders ein schönes Zuhause gefunden, aber um seine Eltern zu überreden klang die Geschichte so natürlich überzeugender.

Es vergingen ein paar Tage, in denen sich meine Eltern miteinander und mit anderen beratschlagten. Rückblickend sagt meine Mama, war immer klar, dass sie ihn kaufen würden. Sie wollten sich nur absichern. Mir erschien das damals definitiv nicht so klar und ich bangte sehr um diese Entscheidung. Schließlich stimmten sie zu, wir würden ihn kaufen! Allerdings mit einer Bedingung, wir machen das nicht alleine. Eine Freundin von ihnen sucht ebenfalls ein Pferd und wir sollten uns zusammen tun. So tragen wir nicht das volle Risiko und die komplette Verantwortung und ich habe jemand erwachsenen und erfahrenen an meiner Seite. Nun ja, besser als garkeinen Merlin.

So lernte ich Anke, die Freundin meiner Eltern kennen. Sie hatte früher bereits Pferde und Reitbeteiligungen gehabt und suchte jetzt wieder etwas Ruhiges für den Wiedereinstieg und gemütliche Ausritte. Ob Merlin da so der richtige für war? Ich glaube, ich habe sein Verhalten im Gegensatz zum Gespräch mit meinen Eltern ziemlich runter gespielt, um ihn ihr schmackhaft zu machen. Aus dem Schlachtpferd wurde dann kurzerhand das Verlasspferd. Sehr naiv rückblickend gesehen natürlich, aber dafür recht effektiv. Sie war begeistert von der Idee und ich konnte endlich zusagen, dass wir ihn kaufen würden.

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Das erste gemeinsame Reitfoto 2004 in Dänemark

Dann begann das Warten. War ich zu langsam gewesen? War er vielleicht bereits weg? Wieso antworteten sie mir nicht? Wochen vergingen und ich wurde immer verzweifelter, bis endlich ein Brief kam. Sie hatten Probleme mit dem Internet, deswegen kam keine Antwort von ihnen. Mittlerweile hatte sich in Dänemark großteils wieder alles beruhigt und sie bräuchten erst einen Ersatz für Merlin, bevor er gehen könnte. Na prima, also wieder warten….

So zog es sich nun ein gutes halbes Jahr hin, in dem wir immer mal wieder Kontakt per Brief oder Email hatten. Mir wurde versichert, dass ein Ersatz gesucht wird und sie ihr Versprechen halten, dass er zu mir ziehen darf. Ich fing an, nach einem Stall bei mir zu suchen und mir eine Grundausstattung anzuschaffen. Die Sommerferien fuhren wir wieder nach Dänemark und Anke lernte dort Merlin kennen. Sie war begeistert von ihm, zum Glück. In diesem Urlaub bin ich einige Male mit ihm ausgeritten, ansonsten lief er wie gewohnt im Ferienbetrieb mit. Man wusste ihn mittlerweile wieder besser zu handeln. Mit Pelham ließ er sich halten und beim Ponyführen durfte er sein eigenes Tempo gehen oder blieb gleich ganz im Stall ich habe Merlin ausgemessen, um die richtige Deckengröße und Gebissgröße zu wissen, Halftergröße und Gurtlänge aufgeschrieben und voller Tatendrang zuhause die restlichen Sachen besorgt.

Im Herbst 2005 kam dann endlich die Nachricht, auf die ich nun fast ein Jahr gewartet hatte. Nach der Herbstsaison durften wir ihn holen, sie hatten einen Ersatz für ihn gefunden! Nachdem nun so lange alles still stand, überschlugen sich die Ereignisse jetzt gerade zu. Anke und ich sagten dem Stallplatz fest zu, organisierten einen Pferdehänger und hatten zahlreiche Ideen für Merlin.

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Merlin im Sommer 2005 im Ferienbetrieb

Anfang November war es so weit. Wir fuhren mit dem Hänger nach Dänemark. Dort angekommen unterschrieb ich den Kaufvertrag, mehr eine symbolische Geste, wenn man minderjährig ist und bekam noch ein Infoblatt für Merlin dazu. Er koppte soweit allen bekannt ist schon immer und ich musste versichern, dass ich ihn nicht mit einem Kopperriemen daran hindern würde. Außerdem hat er weiße Haare in der Sattellage, die von einem alten Satteldruck stammen und jedes Jahr mit dem Winterfell zum Vorschein kommen.

Wir hatten nur das Wochenende, weswegen allen nur ein paar Stunden zum Ausruhen blieben und wir uns dann direkt wieder auf die Heimreise machten. Merlin lief wie ein kleiner Storch in seinen neuen Transportgamaschen, ließ sich aber anstandslos verladen. Er wieherte ein paar Mal bei der Abfahrt, ansonsten verhielt er sich super unauffällig die ganze Fahrt über. Immer wenn wir Pause machten bin ich zu ihm in den Hänger gestiegen, hab ihm Wasser und Karotten angeboten oder versucht ihm sein Heunetz schmackhaft zu machen. Aber er wollte nichts, weder Futter noch Wasser. Er schwitzte ein bisschen unter seiner Fleecedecke, verhielt sich aber ansonsten ganz normal.

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Merlin 2005 in Dänemark

Rückblickend würde ich nie wieder ein Pferd so zu mir holen. Wir fuhren insgesamt 13 Stunden und ich hatte viel zu wenig Ahnung um heute noch sagen zu können, wie gut es ihm dabei ging. Er brummelte immer sobald wir anhielten und ich zu ihm kam, ich denke er war einfach furchtbar alleine. Das erste Mal in seinem Leben. Wir hatten mehr Glück als Verstand bei dieser Aktion, aber kamen alle sicher und gesund zuhause an.

Im neuen Stall angekommen lud ich Merlin aus und führte ihn ein wenig auf und ab, damit er sich die Beine vertreten konnte. Danach ließen wir ihn in die Halle, falls er sich wälzen oder laufen wollte. Er wollte nichts davon, einfach nur wieder raus und zu anderen Pferden. Also brachte ich ihn auf seine neue Koppel, mit Sichtkontakt zu den anderen.

Er sah scheiße aus, man muss es leider einfach so sagen. Er war total eingefallen und stumpf, dazu noch schlapp, gleichzeitig aber sehr aufgewühlt. Die Fahrt hatte ihm stark zu schaffen gemacht, aber er war heile bei mir angekommen. Nun begann unser gemeinsames Leben. Ich war 15 Jahre alt und hatte von jetzt an einen damals neunjährigen Fjordwallach mit allerlei Baustellen an meiner Seite.

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Merlin im Winter 2005, das erste Bild bei mir

Im Ferienbetrieb habe ich auch die Jahre danach noch geholfen, es gibt ihn mittlerweile aber nicht mehr. Mit den Leuten hatte ich aber auch noch Jahre danach immer mal Kontakt und habe sie besucht, wenn ich in Dänemark war. Ich bin ihnen sehr dankbar dafür, dass Merlin zu mir kommen durfte.

Unsere gemeinsame Geschichte erzähle ich demnächst weiter, das würde hier sonst wirklich zu lang werden.

5 Gedanken zu “Merlins Weg zu mir

  1. […] aber haben ihren eigenen Kopf. Ich wollte also sozusagen schon immer ein Shetty haben. Dann kam Merlin in mein Leben und wurde mein erstes eigenes Pferd. Das Thema Shetty war damit erstmal […]

  2. […] Merlins Vorgeschichte und sein Weg zu mir habe ich euch bereits so ausführlich wie möglich erzählt. Mittlerweile sind 10 Jahre vergangen. 10 Jahre in denen wir unglaublich viel zusammen erlebt und gelernt haben. Davon möchte ich euch nun mit 10 Bildern erzählen: […]

  3. Toll, so von euren Anfängen zu hören, koppt er eigentlich immer noch? Soweit ich informiert bin bleibt das ja ein Leben lang. 🙁 Eine Freundin von mir hat sich auch ein Problempony von einem Reiterferienhof gekauft, obwohl es auch gesundheitlich sehr schlecht um es stand.Ich hab da wirklich großen Respekt, dass ihr euch so einer rießen Aufgabe annehmt. Bin sehr gespannt wie eure Geschichte weitergegangen ist. 🙂

  4. Rührende Geschichte! Ich kenne Merlin
    Freut mich das er ein schönes Zuhause gefunden hat, es hätte ihn nicht besser treffen können!

  5. Jessica Braune

    Mehr bitte

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