Unruhige Reiterhände

Früher war es irgendwie anders. Ein Satz bei dem ich mir reichlich alt vorkomme, obwohl ich mich gar nicht so alt fühle. Wahrscheinlich stimmt es nicht mal, aber meinem subjektiven Empfinden nach war der Ablauf „damals“ klassischerweise streng vorgegeben in den Reitschulen:
Anfänger kommen an die Longe und bekommen dort solange Sitzschule, bis sie es so gut können, dass sie ein ruhiges Bein und ruhige Hände haben, so dass ein zügelunabhängiges Reiten möglich ist. Erst dann gab es Zügel in die Hand und es durfte frei geritten werden.

unruhige Reiterhände

Das Pferd öffnet das Maul, um sich den unangenehmen Druck ein wenig zu nehmen.

Ich war nie in so einer klassischen Reitschule, aber auch mir wurden von Anfang an ruhige Hände eingetrichert. Natürlich haben wir alle unsere Schwächen und niemand ist perfekt. Ich möchte auch nicht behaupten, dass ich es besser mache, als viele andere,  aber in letzter Zeit sind mir vermehrt Videos aufgefallen mit sehr unruhigen Händen. Auf Fotos erkennt man sowas ja nicht wirklich.

Manche können es wohl nicht besser, viele setzen die Hand aber auch beabsichtigt so viel und deutlich sichtbar ein. Von „riegeln, „spielen“, „Paraden“ usw. ist dann gerne die Rede, je nachdem ob derjenige sich selbst äußert oder andere ihn kritisieren. Sogar auf Turniervideos fällt es manchmal deutlich auf. Die Reiter scheinen sich diesem Problem auch bewusst zu sein und werden von den Richtern darauf aufmerksam gemacht.

unruhige Reiterhände

Das Pferd hebt sich heraus, der Unterhals drückt gegen und die ganze Oberlinie staucht sich. Die Verbindung zur Reiterhand wird vom Pferd aufgelöst, um dem Zug zu entgehen.

Seit wann steht ein unabhängiger Sitz inklusive ruhig getragener Hände nicht mehr ganz vorne in der Reiterausbildung? Wieso startet man Dressurturniere, wenn man seine Hände nicht ruhig halten kann? Egal, ob man es selbst nicht besser kann oder das Pferd so angeblich besser läuft?

Das Ziel ist eine weiche Verbindung zum Pferdemaul. Dabei soll das Pferd vertrauensvoll an das Gebiss heran treten. Nur so ist eine reelle Anlehnung möglich. Das ist mit einer sehr unruhigen und unpräzisen Handführung des Reiters aber kaum möglich.

Daher versucht sich das Pferd aus seiner misslichen Lage zu retten und dem Gefühl von unangenehm bis wirklich schmerzhaft zu entgehen. Dafür hat es zwei Möglichkeiten zur Verfügung: Entweder es versucht sich zu entziehen, den Kopf zu heben um den Winkel zu ändern oder das Maul aufzusperren. Ein gar nicht so seltenes Bild, wenn man mal genauer darauf achtet. Oder aber, es verkriecht sich hinter dem Zügel und genau dieser Fall wird leider manchmal bewusst provoziert. Der Kopf ist schön unten und an der Senkrechten, man hat eine leichte Verbindung zum Maul, sofern das Pferd den Kopf aus seiner Not heraus dort hin platziert und es kaut meist sogar noch ganz eifrig dabei.

unruhige Reiterhände

Das Pferd verkriecht sich hinter dem Gebiss, es ist zusammengezogen und trägt sich nicht mehr selbst. Der falsche Knick und das leicht geöffnete Maul sprechen ebenfalls für einen zu starken Handeinsatz des Reiters.

Das ist aber leider kein reelles Reiten! Es entsteht kein positiver Spannungsbogen in der Oberlinie, sondern ein zusammengezogenes Pferd, bei dem der Rücken hängt und die Hinterbeine nicht vernünftig zum Tragen kommen. Man versucht eine Abkürzung zu nehmen, wo es keine gibt. Nicht zumindest, wenn man möglichst lange Freude an seinem gesunden und motivierten Pferd haben möchte.

Jeder macht Fehler, niemand ist perfekt und niemand kann alles direkt perfekt! Das steht völlig außer Frage, aber dann muss ich dem Pferd und mir zu Liebe bereit sein daran zu arbeiten, denn es ist Basisarbeit in meinen Augen. Eine ruhige und unabhängige Reiterhand wird nicht irgendwann interessant, nein sie ist für das Pferd direkt und jederzeit wichtig, sobald man die Zügel in der Hand hält.

unruhige Reiterhände

Ich selbst mache gerne unterschiedliche Übungen zu diesem Thema. Die Sitzschule an der Longe ohne Zügel zum Beispiel oder das Reiten mit nur einem Zügel helfen mir dabei ungemein und ich versuche es auch nach vielen Jahren im Sattel immer wieder einzubauen. Man lernt nie aus und kann in fast allem immer noch ein bisschen besser werden.

7 Gedanken zu “Unruhige Reiterhände

  1. E.Besten+Mennes

    Hallo,
    Ich kann da nur zustimmen! Das wichtigste beim Reiten sind ein ruhiger und gelöster Sitz und ruhige Hände. In meinen Anfängen habe ich das erreicht, indem ich die täglichen Dressurstunden ohne Steigbügel geritten bin. Das “klebt” einen in den Sattel und lässt nur die korrekte lockere Sitzposition zu. Außerdem muss man in der Hand weich bleiben, sonst kippt der Oberkörper nach vorne. Ich habe jetzt seit 40 Jahren Pferde. Selbst ausgebildet sind bzw. waren sie alle mit dem ” Bindfaden” und superleichten Hilfen zu reiten. Meine aktuelle Stute ist 28 und geht unter dem Sattel immer noch zügig und willig vorwärts, was zeigt, das korrektes Reiten nicht nur für den Reiter angenehmer ist, sondern auch zur Gesundheit des Pferdes beiträgt.
    Ich wünsche euch eine schöne Zeit und viel Erfolg mit euren Pferden!
    Nele

  2. […] verhindert auch eine korrekte Hilfengebung. Das bedeutet, dass auch der Reiter bereits einen stabilen und zügelunabhängigen Sitz haben muss, damit der Halsring frei und präzise genutzt werden kann. Auf keinen Fall darf er zur […]

  3. […] links durchgeführt, was die Pferde auf dieser Seite muskulär stärker trainiert. Auch feste oder unruhige Reiterhände können zu einer negativen Beeinflussung der Muskulatur und damit der natürlichen Schiefe […]

  4. Diese Frage stelle ich mir auch sooo häufig! Als ich angefangen habe zu reiten, habe ich nichteinmal einen Sattel bekommen. Dickes Volti Pad, Volti Gurt und dann wurde erstmal sitzen geübt, bevor irgendwas anderes passiert ist. Selbst auf dem Hof, auf dem ich so angefangen habe, gibt es das so nicht mehr. Mittlerweile kommen aber auch schon die kleinsten mit eigenem Pony dort hin. Damals waren wir locker 12 Stöpsel. Traurige Entwicklung.

    Mich würden die Übungen die du dafür (bzw dagegen) machst, sehr interessieren 🙂 Magst du darüber auch mal einen Eintrag schreiben?

  5. Hi Linne,

    ein wirklich toller Beitrag mit super Fotos! Ich reite nun schon seit 23 Jahren, und ich gebe seit 4 Jahren Unterricht. Trotzdem nehme ich selbst auch regelmäßig Unterricht und lasse mich korrigieren – sogar an der Longe, zur Sitzschulung! Es schleichen sich so schnell Fehler ein, vor allem wenn niemand korrigierend an der Bande steht.

    Mein Motto ist: Train the Trainer! Egal, wie weit ich bin und wie gut ich reite, jeder sollte sich ab und zu korrigieren lassen. Dein Beitrag hat das bestätigt.

    Meine Schüler kommen selbstverständlich auch ab und zu an die Longe – nicht nur um die Hände zu korrigieren, sondern den ganzen Sitz zu betrachten. Das sind immer wieder tolle Stunden, bei denen es viele Aha-Effekte gibt. Daher an alle: traut euch! Back to the Basics!

    Liebe Grüße,
    akki

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