Wie weit geht man für eine artgerechte Haltung?

Immer wieder erzählen Leute, es gäbe keine artgerechten Ställe in ihrem Umkreis und ich weiß selbst, wie schwer es ist, etwas passendes zu finden. Doch wie kompromissbereit sollte man bei der Stallsuche eigentlich sein? Sowohl bei den eigenen Ansprüchen, als auch bei denen fürs Pferd.

Wie weit ist man bereit für den “perfekten” Stall zu fahren? Auf wie viel Luxus kann man als Mensch verzichten, wenn es dem Pferd dafür super geht? Wie viel Arbeit ist man bereit zu vollbringen für eine artgerechte Haltung? Wie viel Geld kann man investieren?
Würde man sein Pferd vielleicht sogar in Frührente schicken, damit es ein artgerechtes Leben führen kann? Oder würde man es verkaufen, wenn man wüsste, dass es beim neuen Besitzer ein schöneres Leben bekommen würde?

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Sicherlich kommt es sehr darauf an, ob man diese Überlegungen vor dem Pferdekauf tätigen kann oder ob sich die Lebenssituationen ändern und man deswegen wieder vor dem Problem der Stallsuche steht, zum Beispiel weil man umgezogen ist oder der bisherige Stall schließt.

Wie egoistisch darf man bei diesen Entscheidungen sein? Darf man sich nur ein Pferd kaufen, wenn man den perfekten Stall sicher hat? Sollte man sein liebgewonnenes Pferd verkaufen, weil die Haltung etwas weniger perfekt ist in Zukunft?

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Wie wichtig ist dem Pferd die gewohnte Bezugsperson, vertraute Pferdekumpels usw.? Wichtiger als ausreichend Bewegung, frische Luft und gutes Futter? Und wie schnell kann sich ein Pferd umgewöhnen an neue Menschen und Tiere? Wie sehr leidet die Gesundheit und auch die Psyche wirklich, wenn das Pferd ein Großteil seines Lebens eingesperrt in eine kleine Box ist oder zu wenig Rauhfutter bekommt?

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Machen sich einige viel zu viele Gedanken, die allermeisten Pferde leben ja augescheinlich recht zufrieden in den verschiedensten Haltungsformen? Und ist das alles nicht auch einfach nur ein Hobby für uns?

Die allermeisten Fragen können wir in meinen Augen nicht ausreichend beantworten. Zudem sind die Ansichten, was eine “perfekte” Haltung ausmacht, sehr unterschiedich bei Pferdebesitzern, daher ist es kaum möglich über andere zu urteilen.

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Für mich persönlich gilt die Rechtfertigung einer schlechten Haltung allerdings nicht mehr, in meinen Augen ist es egoistisch dem Pferd gegenüber.

4 Gedanken zu “Wie weit geht man für eine artgerechte Haltung?

  1. Liebe Lina,

    ein toller Artikel, der bestimmt (hoffentlich) den einen oder anderen nochmal zum Nachdenken über die Haltungsform anregt. Vielen Dank für diesen wertvollen Beitrag!

    Aus meiner persönlichen Erfahrung mit >30 Jahren mit Pferden und dabei oft aus der Pfleger/Stallburschenperspektive, und auch aus der Zusammenarbeit mit Pferderettern möchte ich aber noch folgendes ergänzen:

    Nicht nur bei uns Menschen sind die Ansichten, was eine “perfekte” Haltung ausmacht, sehr unterschiedlich, sondern definitiv genauso bei den Pferden. Auch wenn ich mir aus Menschensicht für alle Pferde eine Haltung in Paddock Paradise oder Paddock Trail Ställen wünschen würde, weil ich (!) das für am artgerechtesten halte, habe ich auch schon einige (besonders rangniedere) Pferde erlebt, die damit gar nicht klarkamen. Ein Pferd haben wir aus Tierschutzgesichtspunkten “rausgeholt”, bzw. mit Hilfe der Reitbeteiligung, die uns auch alarmiert hatte, die Besi überzeugt. Das Pferd war abgemagert, hatte Narkolepsieanfälle (schlief beim Laufen und auch ausreiten im Stehen ein und fiel um) und der TA hatte keine Erklärung. Nachdem die Reitbeteiligung eine Kamera installiert hatte, da sie Misshandlung befürchtete, kam dann heraus, dass das Pferd von anderen Pferden massiv gemobbt wurde, oft vom Futter
    vertrieben, es daher nachts nie erholsam liegen konnte und immer wieder zu neuen Fressstellen laufen musste. Das führte zur Totalerschöpfung. Das Pferd ist heute mit 25 in einem kleinen 2er Offenstall super glücklich…

    Auch (nächtliche) Boxenhaltung kann wirklich Sinn machen, wenn man z.B. im Wolfsgebiet wohnt, häufig Jagden in Nachbarwäldern sind, oder auch bei älteren Pferden, die häufig nach einem Tag in der Herde die Ruhe und das “Abgeben der Verantwortung” geniessen und dann viel zufriedener sind, wenn sie in der Nacht ohne Störfaktoren fressen und ausruhen können (bitte aber ausreichend große Boxen (min. 4x4m, am besten größer, da gerade alte Pferde Platz und Schwung zum Aufstehen brauchen). Bei Fliegen-/Bremsenplagen freut sich manches Pferd mehr über eine dunkle Box, als in einem hellen Offenstall ständig vor den Bistern wegzulaufen bzw. mit anderen um den fliegenärmsten Platz zu kämpfen oder mit fragwürdiger Chemie besprüht zu werden.

    Also bitte keine falsch verstandene Offenstallhaltung der Frischluft zuliebe, auch wenn das Pferd den ganzen Winter mit Mauke bis zum Röhrbein im Matsch steht…Es geht nicht um uns, sondern um das Wohl unserer Pferde.

    Meine Meinung ist, dass man nicht um jeden Preis über den Kopf unserer Pferde hinweg das umsetzten kann, was wir (oder auch die Wissenschaft) als das beste erachten. Jedes Pferd hat eine eigene Persönlichkeit, wie wir Menschen auch. Ich denke, achtsam zu sein ist das wichtigste, genau hinzusehen, hinzuhören, hinzufühlen, was unser Pferd körperlich und psychisch braucht bzw. möchte und darauf basierend die ansonsten bestmögliche Unterbringung zu suchen.

    Liebe Grüße und danke für eure tollen Beiträge,
    Anni

    PS: Und auch ich habe schon eine Top-Jobzusage abgeblasen, weil ich für unsere 3 Tierschutzpferde und ein Reitpferd keine dort für alle passende Unterkunft innerhalb 50 km Umgebung gefunden habe….

  2. […] Beitrag “Wie weit geht man für eine artgerechte Haltung?” haben wir uns mit der Frage beschäftigt, wie viel Egoismus bei der Stallwahl angebracht […]

  3. […] Einige Menschen finden es vielleicht einfacher und angenehmer, ein sauberes Pferd aus der Box zu holen anstatt sich erstmal mit dem abkratzen diverser Dreckschichten beschäftigen zu müssen, bevor mit dem Pferd gearbeitet werden kann. Aber wenn man mit physisch und psychisch gesunden, nervenstarken und ausgeglichenen Pferden zusammenarbeiten will, dann ist es meiner Meinung nach unerlässlich, die Haltungsfrage zum Wohle des Pferdes zu entscheiden. Auch Lina von Nordfalben fragt sich, wie weit man als Mensch für artgerechte Pferdehaltung gehen kann und sollte. […]

  4. […] Lina stellt sich die Frage(n), wie weit man für eine artgerechte Haltung geht. […]

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